Screenshot des Videogrsprächs mit Franziska Brantner und Hermino Katzenstein

Online-Gespräch mit Hermino Katzenstein und Franziska Brantner 

Zum Thema ‚Europa – auch im ländlichen Raum!‘ hatte Landtagsabgeordneter Hermino Katzenstein eine ausgewiesene Fachfrau an Bord. Dr. Franziska Brantner vertritt seit sieben Jahren für die Grünen den Wahlkreis Heidelberg im Bundestag, wo sie aktuell parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion und Obfrau im Europaausschuss ist. Zuvor war sie außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament.

Dass die EU im Kern ein erfolgreiches Friedensprojekt ist, betonen beide. Seit 75 Jahren leben die Menschen in den Ländern der Europäischen Union friedlich miteinander, stellt Katzenstein fest und Brantner, die am Wochenende die Burg Dilsberg besucht hatte, ergänzt: „Man sieht überall noch die Kriegerdenkmale, liest die Namen und sieht wie viele es sind.“

Doch im Mittelpunkt des Interesses stehen bei dem gut besuchten Online-Gespräch die Programme, mit denen ländliche Regionen gezielt gestärkt werden. Das wichtigste ist zweifellos die ‚Gemeinsame Agrarpolitik‘ (GAP), immerhin der zweitgrößte Posten im EU-Haushalt. „Die Agrarförderung ist nicht so grün wie wir sie gerne hätten“, bemerkt Brantner. Doch Katzenstein hat für Baden-Württemberg auch Positives zu vermelden. So sei der Spielraum des Landes bei der Gestaltung der Agrarpolitik gewachsen. Gerade auch für die Umsetzung des bundesweit vorbildlichen ‚Biodiversitätsstärkungsgesetzes‘ hält er dies für wichtig. Es sei ein großer Erfolg der grüngeführten Landesregierung, nach dem kontroversen ‚Bienenbegehren‘ Landwirtschaft und Naturschutz zusammengebracht zu haben.

Um Wirtschaftsförderung geht es beim Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Zunehmend werden Unternehmen in strukturschwachen Gegenden auch gezielt beim Klimaschutz unterstützt. Der Europäische Sozialfonds (ESF) fördert Projekte zur sozialen Integration benachteiligter Menschen wie Migranten und Langzeitarbeitslose. Saisonarbeitskräfte und Lkw-Fahrer aus Osteuropa werden über ihre Rechte und Ansprüche aufgeklärt und Teilzeitausbildung für Alleinerziehende finanziert.

„Wie kann eine kleine Stadt über den Markt an Fördermitteln den Überblick behalten?“, will ein Teilnehmer wissen. Brantner verweist auf das Landratsamt und sagt: „Es ist nicht immer einfach, die Anträge zu stellen, aber es lohnt sich.“ Die Regeln seien so strikt weil man vermeiden will, dass schwarze Schafe Förderprogramme missbrauchen und daraus dann Kampagnen gegen die EU gefahren werden. Aber auch für kleine Städte lohne es sich, für diesen Bereich personelle Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.

Klassische Städtepartnerschaften spielen weiterhin eine wichtige Rolle, etwa mit Städten in Ungarn oder Polen, wo auf kommunaler Ebene die Opposition gestärkt werden kann. Baden-Württemberg ist auch beteiligt an der Donauraumstrategie mit der Vision, den Raum zwischen Schwarzwald und Schwarzem Meer voranzubringen und die Verständigung der Donau-Anrainer zu fördern.

Auch thematische Zusammenarbeit hat in Europa ihren Platz und ist niederschwellig möglich. Es gibt Netzwerke, die sich zum Beispiel über Mobilität im ländlichen Raum austauschen. Im Verein Citizens of Europe debattieren Mitglieder aus mehr als einem Dutzend EU-Länder über Europapolitik.

„Ich bin ein großer Fan von LEADER“, verrät Katzenstein. Besonders gefällt ihm der Ansatz ‚von unten‘, der Eigenständigkeit und Vernetzung der lokalen Aktionsgruppen fördert. Im Wahlkreis gibt es schöne Beispiele: Die Marktscheune Meckse bereichert seit über zwei Jahren die Meckesheimer Ortsmitte mit ihrem Angebot aus Hofladen, Café, Treffpunkt und Veranstaltungsraum in der aufwendig umgebauten Scheune. In Eberbach konnte dank der europäischen Förderung der Umbau des ehemaligen Lagerhauses Depot 15/7 zum Kulturzentrum über den gleichnamigen Verein umgesetzt werden. In den Kommunen der Brunnenregion wurden entlang eines attraktiven Radwegs E-Bike-Ladestationen sowie zwei RadSERVICE-Stationen eingeweiht.

„Das Programm ist offen für alle, wer eine Idee hat, um beispielsweise den Ortskern oder den lokalen Tourismus zu beleben, kann schon jetzt einen Antrag stellen“, wirbt Katzenstein für Beteiligung.

Eberbach hat seine Kriminalpolizei und die Post verloren, schreibt jemand in den Chat. „Infrastruktur ist wichtig“, bestätigt Brantner und ergänzt, in England habe es dort, wo lokale Gerichte und Stadtbibliotheken geschlossen wurden, eine besonders hohe Zustimmung zum Brexit gegeben. Sie erläutert die EU-Strategie zur Corona-Impfung und hält abschließend ein leidenschaftliches Plädoyer für europäische Solidarität auch und gerade bei den Impfstoffen.