Über den Vortrag des Antisemitismusbeauftragten des Landes, Dr. Michael Blume, der auf meine Einladung an die Waibstadter Realschule gekommen war, berichtet am 19.11.2018 die Rhein-Neckar-Zeitung:

Antisemitismus wird durchs Internet verstärkt

Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter Dr. Michael Blume sprach mit Waibstadter Realschülern

Waibstadt. (bju) „Dass irgendwann ein Nachfolger eine Abschiedsrede halten kann, weil es keine Beauftragten gegen Antisemitismus mehr braucht.“ Das hatte sich der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume (Foto: Jürriens) im April dieses Jahres gwünscht, als er an der Heidelberger Hochschule für jüdische Studien referierte. Sieben Monate später stand Blume jetzt in der Aula der Realschule Waibstadt und sprach mit jenen, die zur Erfüllung dieses Wunsches einen Teil beitragen könnten. Die Neuntklässler seien die „nächste Generation“, die mit digitalen Medien „ganz selbstverständlich“ aufwachsen und die durch einen sensiblen Umgang hoffentlich die dort propagierten Verschwörungsmythen, die früher oder später zu Antisemitismus führten, richtig einzuschätzen lernten.

Der mehrfache Familienvater forderte Zivilcourage ein. „Steht demjenigen zur Seite, der Gewalt, Hass und Diskriminierung erfährt.“ Die Aufklärungsarbeit, nicht nur an Schulen, sei wichtig, denn „Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit muss man verteidigen“. Nach Jahren mit stagnierenden Zahlen nahmen 2018 die antisemitischen Straftaten in Baden-Württemberg zu. Das Stuttgarter Innenministerium berichtet von einem Anstieg auf 91 Fälle bis September. Im Jahr 2017 waren es 99 Taten.

Antisemiten wenden sich nicht nur gegen Juden, sondern greifen zum Beispiel immer auch freie Medien, demokratische Parteien, Migranten sowie religiöse und ethnische Minderheiten an, sagte Blume. Sowohl der rechtsextremistisch motivierte Antisemitismus als auch der, der unter Migranten herrsche, bereite ihm Sorgen. Schweigen sei keine Option. Nur einige von vielen wichtigen Aussagen des gebürtigen Filderstädters, der seit März eine Stimme gegen Judenfeindlichkeit und eine Anlaufstelle für jüdische Bürger ist.

Der Beauftragte der Landesregierung gegen Antisemitismus war auf Einladung des Landtagsabgeordneten Hermino Katzenstein (Bündnis 90/Grüne) nach Waibstadt gekommen. Im Beisein von Bürgermeister Joachim Locher und Schulleiter Klaus Sauer eröffneten zunächst die Jugendlichen mit Presseschlagzeilen der letzten Wochen und Monate die rund zweistündige Veranstaltung, die die Häufung von antisemitischen Übergriffen und rechtspopulistischen Aktionen deutlich machten.

MdL Katzenstein leitete kurz in das Thema ein, berichtete dabei auch über das durch die Anwesenheit der AfD im Landtag zeitweise „unerträgliche Klima“. Bei Blumes Biografie hörten die Schüler gespannt zu. Als der jungenhaft lächelnde 42-Jährige von seiner Mission „Sonderkontingent Nordirak“ der Jahre 2015/16 authentisch erzählte, hingen die Teenager an seinen Lippen. Unter Lebensgefahr und mit ständig wechselnden Hotels, Flugrouten und Autonummernschildern verhalf er mit seinen „Mitarbeitern“ 1100 jesidischen und christlichen Frauen und Kindern zur Flucht vor dem „Islamischen Staat“ – ein echter Held, dessen Bescheidenheit auch manchen Politiker gut stehen würde, empfanden die Zuhörer. Auf jeden Fall ein Vorbild, der in seiner jetzigen Funktion auf Prävention und Dialog setzt. Dass unter den geretteten Frauen auch die spätere UN-Botschafterin Nadia Murad war, die in diesem Jahr gemeinsam mit Denis Mukwege den Friedensnobelpreis in Oslo bekommt und Blume dort auch anwesend sein wird, hinterlässt auch bei den Waibstadter Zuhörern Eindruck. Mit seiner Frau habe er als christlich-muslimisches Paar selbst schon mehr als genug Rassismus und Verschwörungsglauben kennenlernen müssen, wie er auf eine Frage eines Schülers antwortet. In seinem jetzigen Amt gehören Hass-E-Mails zum Alltag. Überhaupt, die Schüler sind bestens vorbereitet, sind interessiert und haken bei Antworten nach, wie bei einem antisemitischen Video und Rapsong des Musikers „Kollegah“.

Lob gab es von Blume und Katzenstein für die Projektgruppe „Judentum im Kraichgau“ unter der Leitung von Marion Guttman. „Mit ihren Aktivitäten wie Stolpersteinverlegung und Gedenkfeiern leisten sie einen wichtigen Beitrag zum jüdischen Leben.“ Übrigens, einen ersten Antisemitismusbericht von Blume, erstmals überhaupt auf Bundesebene, erwartet der Landtag im Juli 2019.

Quelle: Sinsheimer Nachrichten vom Montag, 19. November 2018, Seite 5

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors